Mittwoch, 28. August 2013

1917: Miguel de Unamuno: Abel Sanchez (Spanien)


And I desired her more than ever and more furiously than before. During one of the interminable shallow and sluggish sleeping spells of that night I dreamt that I possessed her beside the cold and inert body of Abel. That night was a tempest of filthy desires, of rage, of vile appetites, of futile wrath. With daylight and the weariness of so much suffering, reason returned to me and I understood that I had no right whatsoever to Helena. But I began to hate Abel with all my soul, and, at the same time, to plan the concealment of this hatred, which I would cultivate and tend deep down in my soul's entrails.

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Die Geschichte von Kain und Abel, in die Gegenwart verlegt. Kain ist Joaquin Monegro, Arzt. Abel ist Abel Sanchez, Maler. Sie sind beste Freunde von frühester Kindheit. Joaquin begehrt die Frau, deren Porträt Abel malt, bis er diese Malerei zum Dantezitat des Erzählers unterbricht: "An jenem Nachmittag malte er nicht weiter. Und die zwei wurden ein Paar." Sie heiratet ihn. Der Arzt hält auf den Maler eine bewegende Rede, die an dessen Ruhm ihren Anteil haben wird. Von früh an ist das Verhältnis der beiden gegen den Anschein durch eine untergründige Konkurrenz bestimmt. Der Arzt hat den Ehrgeiz, dass von ihm etwas bleibt. Er arbeitet an Werken für die Nachwelt. Er schreibt eine Konfession, die er an die Tochter adressiert. Und sein finaler Plan ist ein vernichtendes Buch über den Maler, das dessen Bild für die Ewigkeit festschreiben soll. Und am Ende schlägt Joaquin Abel zwar nicht tot, tötet ihn nicht einmal im ganz strengen Sinn, will diesen Tod aber so sehr, dass die moralische in eine reale Schuld umschlägt. Kaum zugespitzt gesagt: Abel stirbt an und durch Joaquins Willen.

Miguel de Unamuno erzählt das nicht psychologisch - oder sonst - realistisch. Er löst seine Geschichte auf in Szenen, kleine Psychodramen der Eifersucht und des Rechtens. Keine Realismuseffekte, keine ausgemalte und herbeiilludierte Welt, die Ereignisse schreiten im Protokollstil voran und in dieses scheinbar objektive Gerüst werden Dialoge und Joaquins Gedanken und die Auszüge aus seinen Konfessionen gehängt. Was Abel wirklich denkt, was ihn treibt, ob an den Spekulationen Joaquins etwas ist oder nicht, bleibt fast völlig unklar. Man hat nur seine Antworten, seine Reaktionen auf die Vorwürfe, die Blicke seiner Frau und der Joaquins. Und man hat gewaltigen Zweifel - daran, dass in Joaquins Beschreibungen und Unterstellungen der Wille zur Gerechtigkeit waltet.

Ruhmsucht und Ruhmneid, darauf spitzt Unamuno das Verhältnis der Freunde zu, zweier Männer von großer Begabung. Reine Freundschaft, also dass der eine das Beste für den anderen will, ist unmöglich. In die alttestamentarische zitiert Unamuno die griechische Mythe hinein: Helena ist der Name der Frau, die Joaquin begehrt, der Frau, die Abel vorzieht. Zwar stiftet sie Zwietracht, aber die eigentlich tödliche Kraft ist Joaquins Begehren nach dem Begehren, sein Wunsch gegen das eigene Wissen, gegen das erkannte Recht. Dieses psychische Tiefenrelief arbeitet Unamuno heraus, so intensiv, so radikal, dass an Realien der Gegenwart außer dieser Struktur wenig bleibt. Im Umkehrschluss kann sie fast nur als überzeitlich erscheinen.

Donnerstag, 22. August 2013

1916: Mark Twain: The Mysterious Stranger (USA)


Satan reached out his hand and crushed the life out of them with his fingers, threw them away, wiped the red from his fingers on his handkerchief, and went on talking where he had left off.

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Betrug, Betrug: Dies Büchlein dürfte es de jure nicht geben. De facto allerdings: erschien es als posthumer Roman von Mark Twain. Nur haben sich die Herausgeber da etwas zurechtgebastelt, das zwar eine Menge Twain enthält, aber nach Art des Formschinkens. Hier ein Stück aus dieser Fassung, da ein Stück aus einer anderen, die durchaus unterschiedlichen Namen des Protagonisten flugs angeglichen und hier und da auch der Abrundung halber selbst was dazuverfasst als Twain-Pastiche. Jahrzehntelang kam das nicht raus und galt als des berühmten Autors letzter Roman.

Mir kann es egal sein. Und sehr seltsam ist das Buch als Projekt in den unterschiedlichen Fassungen auch so. Österreich, Frühneuzeit, Winter 1590 - Ort und Zeit also durchaus ungewöhnlich. Und dann tritt Satan auf, allerdings nicht mit Satan zu verwechseln. Dabei verwandt, es ist der Neffe, der in dieser Parabel aus heiterem Himmel im kleinen österreichischen Weiler Eseldorf auftaucht. Ein paar Jungs, darunter der Ich-Erzähler, freunden sich mit ihm an. Satan kann tolle Sachen: Er vermehrt Speis und Trank, zum Beispiel. Vor allem aber kann er in Lebensläufe eingreifen, zum besten, sagt er, der betroffenen Menschen. Das wäre schön, denn Verbesserungsbedarf besteht. Hexen werden verbrannt, Denunziation herrscht, der Mensch ist des Menschen Wolf. Leider aber ist Satan in Wahrheit ein grandioser Verschlimmbesserer vor dem Herrn. Seine Eingriffe führen meist zu schnellerem Tod, die Maßstäbe, an denen Satan das als Verbesserung misst, können keine menschlichen sein.

Eine Parabel übers irdische Missvergnügen in S, die wie alle Parabeln nicht an ihrer Botschaft gemessen sein will, sondern an den Einfällen, die sie hat, um diese an den Mann zu bringen. Schöne, schön böse Momente hat das. Satan erschafft ein paar Menschlein und als sie ihm auf die Nerven gehen, werden sie flugs wieder zerquetscht. Erzählmoralisch ist das kompliziert: Satan ist der große amoralische Drübesteher, gegen den sich der Ich-Erzähler empört. Die Twain-Perspektive geht weder im einen noch im anderen auf: Sie ist durch den Zynismus schon durch und steht, aber von Hoffnung befreit, über den Undingen der Welt. Die Herausgeber haben ein Loblied auf den Atheismus als Ende fingiert. In Wahrheit hat Twain das in mehreren Versuchen eben nicht schlüssig abbinden können. Wahrscheinlich liegt gerade darin eine moralische Stärke.

Montag, 19. August 2013

1915: P.G. Wodehouse: Something Fresh (Großbritannien)

His life was a life which lacked, perhaps, the sublimer emotions which raised Man to the level of the gods, but it was undeniably an extremely happy one. He never experienced the thrill of ambition fulfilled, but, on the other hand, he never knew the agony of ambition frustrated. His name, when he died, would not live for ever in England's annals; he was spared the pain of worrying about this by the fact that he had no desire to live for ever in England's annals.

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 Der Mann treibt Sport vor der Haustür: Erst lacht die britische Mitwelt sich tot, dann gewöhnen sich alle daran. Sein Job: Er schreibt Detektivgeschichten in trivialer Manier. Sein Traum: war das nicht. Da lernt er die neue charmante Mitbewohnerin kennen, auch sie eine Autorin, die weit abseits der Weltliteratur reüssiert. Erst lacht sie ihn aus, dann kommt man sich näher. Bald wird daraus jedoch eine Entwendungskonkurrenz. 

Auftritt Lord Blandings. Komplett zerstreut und mit dem jüngeren Sohn alles andere zufrieden. Immerhin hat er diesen nun an die Tochter eines befreundeten amerikanischen Millionärs vermittelt. Verlobungsvorbereitungen auf dem Lande. Leider hat Blandings in seiner Zerstreutheit aus Versehen einen äußerst wertvollen Skarabäus des skarabäenverrückten Millionärs mitgehen lassen. Der will diesen zurück und engagiert den jungen Sportsmann und Detektivgeschichtenverfasser zur Rückentwendung. Seine Tochter hat unabhängig davon die Mitbewohnerin geheuert. Man kennt sich von früher. Porzellan geht zu Bruch. Der Skarabäus ist anders noch einmal weg. Ein fetter Mann kompliziert alles. Hilarity ensues.

"Something Fresh" ist eine Typenkomödie, klassisch gebaut. Mit Tapetentür und Hintertreppe, mit Herren- und Dienstbotenebene, wobei P.G. Wodehouse eher auf Augenhöhe mit den niederen Schichten unterwegs ist. Schon weil er die Fallhöhe ausschließlich für komische Zwecke in Dienst nimmt. Man wird es Humor nennen müssen: Großes wird klein, zu allem bleibt der Erzähler sehr souverän in Semidistanz. Man wird es auch Humor nennen können: Es ist komisch, in seiner mittleren Schärfe, die kaum je betulich wird, das Allzumenschliche nie denunziert und selbst keine Parteien, sondern nur die eigene Abständigkeit kennt.

Mittwoch, 14. August 2013

1914: Natsume Soseki: Kokoro (Japan)



You were prepared to rip open my heart and drink at its warm fountain of blood. I was still alive then. I did not want to die. And so I evaded your urgings and promised to do as you asked another day. Now I will wrench open my heart and pour its blood over you. I will be satisfied if, when my own heart has ceased to beat, your breast houses new life.

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Das Jahr: 1914, nach dem Tod des Kaisers das Ende der Meji-Periode, die für Japan die Öffnung für den Westen gebracht hat. Das thematisiert Natsume Sosekis Roman, er verdichtet die Verwirrung der historischen Zeit aber auf Innenleben statt Außengeschehen. Aus drei Abschnitten besteht der Roman, von drei Männern erzählt er. Das ergibt aber keine Symmetrie.

Im ersten Teil berichtet der noch junge Ich-Erzähler - Student, was er studiert, erfährt man aber ausdrücklich nicht -, wie er einen deutlich älteren Mann kennenlernt: Sensei nennt er ihn, Lehrer also. Er sieht ihn als Vorbild und Weisen, konstatiert allerdings auch dessen wunschloses und für ihn unerklärliches Unglück. Im zweiten Abschnitt reist der Erzähler zu seinem sterbenden Vater und eilt noch vor dessen unmittelbar bevorstehendem Tod zurück in die Stadt, weil er von Sensei einen Brief erhalten hat, in dem dieser von den Gründen für den Selbstmord berichtet, den er in diesem Brief ankündigt und inzwischen begangen haben wird. Der dritte Teil ist dieser Brief, der Ich-Erzähler der ersten Teile kommt nicht wieder zu Wort. Man erfährt, wie Sensei einen Freund, der nur K genannt wird, einst betrog - wobei dieser Betrug in einer komplizierten Doppelzüngigkeit in Begriffen der Ehre besteht. K bringt sich um, Sensei gibt sich die Schuld und lebt ein Leben, dem er keinen Sinn geben kann.

Die Ära des Umbruchs bestimmt untergründig den Roman. Auf den ersten Blick scheint er auf die Psychodramen dreier Männer beschränkt. Und so detailliert diese Dramen als individuelle Schicksale nuanciert sind, so sehr wollen sie lesbar sein als Reaktionsformen auf die neue Zeit. Zwei der drei Männer enden durch Selbstmord, das Schicksal des Dritten bleibt offen. An der grundsätzlichen, ja radikalen Rückwärtsgewandtheit der Perspektive ändert dieser Dritte aber nichts: Wohin es mit ihm gehen soll, bleibt vollkommen unklar. Der Umbruch erscheint als Kluft, die nicht so sehr die Generationen trennt, sondern den Einzelnen spaltet und lähmt.  Ein ungeformtes Dunkel, das die Gestalt moralischer Dilemmata annimmt. Der Schock des Neuen bewirkt nur Lähmung und Stasis. Ob die Blutübertragung, von der Sensei in seinem Brief schreibt, bei seinem Schüler neues Leben in Gang bringen kann, ist fraglich. 1914 ist in diesem Roman: ein Moment ohne Aussicht auf Zukunft.