Donnerstag, 21. November 2013

1935: Georges Bernanos: Un crime (Frankreich)

"Mein Mißtrauen … ich finde leider kein anderes Wort … hat mir ermöglicht, eine ganze Anzahl anscheinend verwickelter Fälle aufzuklären … nur anscheinend verwickelt … und andere wieder hat es durcheinandergewirrt, manchmal dann unentwirrbar. In meiner Stellung ist Mißtrauen etwas Gutes, ja Ausgezeichnetes, solange es die Urteilskraft anregt, sie aber nicht beherrscht, es darf nicht in die Beurteilung eindringen. Die Gefahr besteht, daß der Mißtrauische schließlich seinem Mißtrauen mißtraut, und die nötige geistige Freiheit verliert." 

 ***

Tief in der Nacht erreicht der neue Pfarrer Mégère. Tiefe Provinz. Er hört einen Schuss, oder will ihn gehört haben. Auf einem Anwesen findet man die Leiche einer alten Frau, die viel in der Welt unterwegs war, seit Jahren aber hier ihren Ruhesitz hat. Im Garten liegt ein junger Mann ohne Socken, noch nicht ganz tot, Erde und einen Stein im Mund, er wird bald sterben. Ein Verbrechen, ein Rätsel, ein sehr eigenwilliger Untersuchungsrichter, einige weitere Figuren, die sich verdächtig verhalten: alle Zutaten für einen Landhauskrimi sind also vorhanden.

Ein Landhauskrimi ist "Un crime" aber nicht. Aber was dann? Mit einem vertrackten Kriminalnarrativ gepimptes Gewissensdrama? Landschaftsmalerei mit Figuren, die mit sich, ihrer Vergangenheit ringen und - mehr als einer von ihnen - keine Zukunft mehr sehen? Wo will das hin, worauf will es hinaus, warum die ausführlichen Schilderungen von Natur, Dorf, Charakteren? Eindringlich schildert Bernanos Gedanken, Not einzelner Figuren, er differenziert sie weit aus bloßer Typisierung hinaus. Dann lässt er sie ziehen.

Ein Roman ohne Fokus, oder anders: Der Fokus wandert, immer wieder einzelne Szenen von äußerster Brennschärfe, dann geht der Blick anderswohin. Die Erzählung zielt (oder täuscht) Aufklärung an, verliert sie dann aus den Augen. Dem irrenden Blick kommen die Utensilien des Rätselkrimis im weiteren Verlauf  als präzise geschilderte Objekte und Knoten durchaus dazwischen. Briefe werden verbrannt, Geständnisse werden geschrieben, Raumverhältnisse vor Augen geführt, eine Fotografie, Vergangenheit, die in die Gegenwart drängt, Andeutungen des Pfarrers in unklarer Rede. Überhaupt der Pfarrer: Eigentlich Protagonist, dann aber weg. Als Charakter ein Rätsel, das nicht aufgelöst wird. Wie der ganze Roman, der nicht weiß, was er ist. Oder falls er es weiß: Ich weiß es nicht.

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